Donnerstag, 10. Juli 2014

600 Jahre Konstanzer Konzil (22.11.1414 - 22.04.1418) - Historisches Lehrstück über Macht, Politik und Diplomatie

Gaukler der Macht in Händen der Imperia (3)
Mehr als 4 Jahre tagte das Konstanzer Konzil(1), um drei drängende Probleme zu verhandeln: Wiederherstellung der Einheit der Kirche (causa unionis), Reformierung innerkirchlicher Zustände (causa reformationis), Bekämpfung von Ketzerei durch Klärung strittiger Fragen (causa fidei). Tatsächlich ging es um deutlich mehr, als nur um eine Bereinigung von Skandalen, nämlich um die Stabilsierung eines labilen politischen Machtgefüges, in das die Finanzwirtschaft natürlich tief verwickelt war. Die Veranstaltung einigt sich auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner und gerät als Minimallösung zu einem frühen Lehrstück internationaler Politik. It's always the same old story.
Die Protagonisten des Konzils verfolgen kurzfristige Perspektiven ihrer Eigeninteressen. Sie wollen ihre persönliche Macht mit allen Mitteln erhalten und möglichst ausdehnen. Pragmatisch, aber rechtlich umstritten(2), wurden die 3 konkurrierenden Päpste abgesetzt und ein neuer Papst gewählt, Martin V.. Formell war das Ziel der 'causa unionis' erreicht. Die komplexe Problematik der als 'causa reformationis' und als 'causa fidei' bezeichneten Ziele ist jedoch politisch nicht zu lösen. Sie wird durch das Konzil eher verschärft.
Das Konzil wirkt als Katalysator für Aufklärung und Reformation und als Zündstoff für den über Jahrhunderte dauernden Flächenbrand von Inquisition, Reformationskriegen und kriegerischen Revolutionen in Europa. Diashow der Fotoserie


Jubiläumsausstellung des Konstanzer Konzil

Blick vom Hoteldach in Richtung Bodensee
Ein Artikel der Süddeutschen Zeitung(4) macht uns im April diesen Jahres auf die Ausstellung anlässlich der 600. Jährung des Konstanzer Konzils(1) aufmerksam und weckt unser Interesse. (Detailinformationen bieten 2 umfangreiche Webportale(5).)
Wir beschließen, unsere Reise nach Südtirol über Konstanz am Bodensee zu legen. Bezahlbare Hotels sind in der Innenstadt zu dem für uns möglichen Termin bereits weitgehend ausgebucht. Schließlich finden wir doch noch ein nettes Zimmer in zentraler Lage(6) und reisen am 9.07.2014 nach Konstanz. Regen begleitet uns während der gesamten Anreise. Auch in den nächsten Tagen beeinträchtigt zwar Schauerwetter das Vergnügen, aber der Charme der Stadt bleibt uns nicht verborgen. Konstanz ist eine Reise wert. Im nächsten Jahr werden wir erneut die Anreise nach Südtirol über Konstanz planen und die Fortsetzung der Ausstellung zum Konstanzer Konzil besuchen.



Konzilgebäude in Konstanz
Der Besuch der Ausstellung im wuchtigen historischen Konzilgebäude am Konstanzer Hafen beginnt mit einem Missklang. Um 10:00 öffnet die Ausstellung. Wir sind pünktlich vor Ort und erfahren, dass die Ausstellung im Zeitraum 12:00 - 14:00 Uhr wegen einer exklusiven Veranstaltung für die Öffentlichkeit gesperrt ist. Als Kompensation wird der Normalpreis des Tagestickets von 10 € auf 7 € reduziert. Um 14:00 Uhr dürfen wir noch einmal, zurückkehren, was jedoch nicht in unseren Zeitplan passt. Wir müssen diese Frechheit schlucken. Knapp 2 Stunden Zeit bleiben uns für eine sehr reichhaltige und qualitativ hochwertige Ausstellung, an der wir nur wenig auszusetzen haben(7).





In Anlehnung an die Dauer des Konzils sieht das Ausstellungskonzept eine über insgesamt 5 Jahre laufende Ausstellungs- und Veranstaltungsserie vor. Jedem Ausstellungsjahr ist eine eigene Themenüberschrift und jeweils eine bedeutende historische Persönlichkeit der Konzilgeschichte zugeordnet:
Zum Auftakt werden Ausstellungsbesucher in die Welt der Konzilszeit eingeführt. Die Ausstellung macht Besucher auf eine Reihe von Fragen aufmerksam, auf die sie nach angemessenen Antworten sucht:
  • Wer und was bestimmte Leben und Denken der Menschen in Europa?
  • Auf welches politische Machtgefüge blicken wir im 15. Jahrhundert?
  • Wie stellt sich das Spannungsfeld zwischen politischer und kirchlicher Macht dar?
  • Wie ist das abendländische Schisma entstanden und was waren die Folgen?
  • Wie kam es zum Konzil in Konstanz?
  • Was und wie wurde auf dem Konzil verhandelt?
  • Wie können wir uns das Leben in Konstanz und das Konzilleben vorstellen?
  • Welche Folgewirkungen hatte das Konzil?
  • etc.
Die Ausstellung setzt seitens Besucher Interesse und Offenheit voraus. Übermäßige 'Kopflastigkeit' ist jedoch nicht zu befürchten. Neben der Aufbereitung historischer sozialer und politischer Fragestellungen präsentiert die Ausstellung hochkarätige und ausgesprochen glanzvolle Objekte höfischer und sakraler Kunst dieser Zeit, die bereits für sich allein einen Besuch lohnen. Die besondere Delikatesse dieser Ausstellung besteht jedoch gerade darin, dass die wertvollen kunsthistorischen Objekte nicht lediglich präsentiert sind, sondern in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext dargestellt werden. Die Ausstellung ermöglicht Besuchern eine anschauliche Zeitreise in die Welt der Konzilszeit und macht Besuchern verständlich, weshalb das Konstanzer Konzil als abendländisches Weltereignis des späten Mittelalters an der Bruchkante zwischen Mittelalter und Neuzeit einzuordnen ist.

Treibende Kraft des Konzils ist König Sigismund, ein begnadeter politischer Strippenzieher. Auf dem Weg nach Konstanz lässt Sigismund sich am 8.11.1414 in Aachen zum König krönen. Der Ort macht deutlich, dass Sigismund nach der Kaiserkrone strebt, die er jedoch nur mit einem legalen Papst erreichen kann. Mit dem Ergebnis des Konzils ist eine wesentliche Voraussetzung seiner Kaiserkrönung hergestellt (die jedoch erst 1433 vollzogen wird). König Sigismund sichert dem populären tschechischen Philosphen Jan Hus freies Geleit zu. Jan Hus reist nach Konstanz und verteidigt seine Ansichten. Er weigert sich zu widerrufen und abzuschwören. Politische Versprechen erweisen sich schon vor 600 Jahren als wertlos. Die im Konstanzer Münster tagende Vollversammlung des Konzils verurteilt Jan Hus am Vormittag des 6.07.2015 als Häretiker zum Feuertod(8). Am Nachmittag des gleichen Tages wird das Urteil vollstreckt. Die Asche nimmt der Rhein auf. Die Hinrichtung löst die Hussitenkriege aus.

Der am Martinstag 1417 gewählte neue Papst, Martin V., war ein uneheliches Kind und hatte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal die Priesterweihe erhalten. Die Priesterweihe wurde innerhalb weniger Tage nachgeholt. Die Bischofsweihe gab es als Zugabe. Der Zweck heiligte auch hier jedes Mittel. 10 Tage nach der Wahl konnte die Papstkrone aufgesetzt werden. An einer Umsetzung von Konzilsbeschlüssen und an einer Reform der Kirche zeige Martin V. in den Folgejahren kein Interesse.

Während der Konzilszeit war Konstanz, eine Stadt mit damals ca. 6.000 Einwohnern, das Zentrum der abendländischen Welt, in dem eine europäische Neuordnung zwischen Päpsten, Königen, Fürsten, Kardinälen, Patriarchen, Erzbischöfen und Bischöfen verhandelt wurde. Alle Würdenträger zogen mit ihrem Gefolge (Doktoren, Mönche, Priester, Knechte etc.) in Konstanz ein. Über die Konzilszeit haben Konstanz und umgebende Orte ca. 70.000 Teilnehmer beherbergt (die Zahl ist strittig). Zwischen 800 - 1.500 Wanderhuren sollen in der Stadt allen Ständen ihre Dienste angeboten haben. Einer der Teilnehmer im Gefolge König Sigismunds war der südtiroler Ritter, Dichter und Sänger Oswald von Wolkenstein (Kopf des Ausstellungsjahres 2018) der sich in einem Gedicht über die hohen Preise der Liebesdienste für Konzilsgäste mit den Worten beklagte: "Denk ich an den Bodensee, / dann tut mir gleich mein Beutel weh! / Zahlte dort im Haus zur Wide / Schillinge für Liebesdienste....".(9)

Das Konzil beschäftigte sich mit internationaler Machtpolitik. Jan Hus und die Verletzung des Verprechens eines freien Geleits dürften dagegen nur Randthemen des Konzils gewesen sein, die erst in den nachfolgenden Jahrhunderten Bedeutung erlangten und nachträglich in den Fokus des Konzils gerückt wurden, als die Reformation Fahrt aufnahm. Erst ca. 100 Jahre später war die Zeit reif für eine Reformationsbewegung, die Legenden auf die Person Martin Luthers zurückführen. Dass Luthers Thesenanschlag vom 31.10.1517 an der Wittenberger Schlosskirche die Reformation ausgelöst habe, ist ebenso Legende, wie vermutlich der Thesenanschlag selbst. Luther ist wesentlich von Jan Hus inspiriert, der seinerseits von John Wyclif (1330- 1384) beeinflusst ist. Die Reformation hat ihre Ursprünge im aufkommenden Humanismus, der seinerseits Indiz einer Krise ist, die durch den kulturellen Austausch während des Konstanzer Konzils starke Impulse erfährt. Gedanken dieser Bewegung erfahren ihre Verbreitung insbesondere durch die Erfindung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts.
   

Stadtbesichtigung Konstanz

Gegen 12:00 Uhr müssen wir die Ausstellung wegen einer exklusiven Veranstaltung verlassen. Das ist einerseits ärgerlich, verschafft uns aber andererseits Zeit für einen Bummel durch die sehenswerte Altstadt, den wir mit einer Besichtung des kulturhistorisch bedeutenden Konstanzer Münsters verbinden. Der Münsterhügel ist ein prähistorischer Siedlungsplatz, den später Kelten, Römer und Germanen nutzten. Um das Jahr 600 wurde die erste Bischofskirche erbaut und im 9. Jahrundert von einem karolingischen Neubau ersetzt. Über die Jahrhunderte wurde das Kirchengebäude mit der umgebenden Klosteranlage immer wieder umgebaut, so dass wir in der Gegenwart ein buntes Stilgemisch antreffen. Eine besondere Sehenswürdigkeit ist die im 10. Jahrhundert erbaute und um 1300 gotisch überarbeitete Mauritiusrotunde, eine Rundkapelle, die das Heilige Grab (Jerusalemer Grabeskapelle) in seiner Gestalt um das Jahr 1000 als Miniatur repräsentiert.

Mauritiusrotunde
Hauptportal des Münsters
Langschiff des Münsters

Goldschild in der Krypta des Münsters
Eine im 9./10. Jahrhundert ausgehobene Krypta ist der älteste bis heute erhaltene Komplex des Münsters. Die frei zugängliche Krypta wurde vermutlich für die Gebeine des Hl. Pelagius angelegt. Der in der Gegenwart in der Krypta zu besichtigende Reliquienschrein gilt als Fake. Eindrucksvoller sind die in der Krypta ausgestellten Goldscheiben(10). Die größeren Scheiben waren ursprünglich an der Außenseite des Münsters zur Seeseite angebracht, während die kleineren Scheiben vermutlich ehemals den Chorraum zierten. 







Anmerkungen

(1) Wikepedia-Artikel: Konzil von Konstanz

(2) Gemäß Kirchenlehre entwertet die Unwürdigkeit eines Amtsträgers nicht dessen Handlungen.

(3) Wikipedia-Artikel über die Statue (Gaukler der Macht in den Händen einer Kurtisane) am Eingang des Konstanzer Hafens, die nur gegen Widerstand und Bedenken klerikaler und politscher Kreise sowie vieler Konstanzer Bürger durchgesetzt werden konnte: Imperia

(4) Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 28.04.2014 zur Veranstaltung '600 Jahre Konstanzer Konzil': Göttlicher Sündenpfuhl 

(5) Portal der Konzilstadt Konstanz: 600 Jahre Konstanzer Konzil
Portal des Badischen Landesmusuems: Das Konstanzer Konzil 1414 - 1418, Weltereignis des Mittelalters

(6) Übernachtung im Hotel Viva Sky zum Preis von 139 € für das Doppelzimmer inkl. gutem Frühstücksbuffet, zzgl. 14 € Parkhausgebühren.

(7) Neben der kurzfristigen Sperrung lassen sich einige weitere Kritikpunkte anmerken:
  • Das generelle Fotografierverbot in der Ausstellung werten wir als enttäuschend. 
  • Der Preis von 4 € für den unbedingt zu empfehlenden Audioguide empfinden wir in Anbetracht des Ticketpreises als zu hoch. 
  • Die Beschriftung vieler Objekte in Vitrinen ist nicht zu lesen, weil die Schrift für die Lichtverhältnisse und die Entfernung vieler Tafeln zu klein ist. Nur mit dem Katalog zum Preis von 29,90 € (bzw. 49,90 € inkl. Essayband) erschließen sich viele Informationen. Dass die Ausstellung Besucher ohne Katalog mit einem erschwerten Zugang zu Informationen bestraft, erfahren wir schmerzhaft. In knapp 2 Stunden ist es jedoch unmöglich, gleichzeitig Ausstellungsobjekte zu betrachten und den Ausstellungskatalog zu recherchieren, was wir als eine gleich doppelte Bestrafung empfinden. Dass bessere Lösungen möglich sind, beweist die Kasseler documenta. Wir hoffen auf Lernfähigigkeit. 
(8) In seinem Abschiedsbrief schreibt Jan Hus: „Das aber erfüllt mich mit Freude, daß sie meine Bücher doch haben lesen müssen, worin ihre Bosheit geoffenbart wird. Ich weiß auch, daß sie meine Schriften fleißiger gelesen haben als die Heilige Schrift, weil sie in ihnen Irrlehren zu finden wünschten.“

(9) Lexikon der Geschichte Baden+Württemberg: Überblick über das Konstanzer Konzil (von 1414-1418)

(10) Die mit der Restaurierung gewonnen Erkenntnisse beschreibt die Ausgabe 1/2009 des Nachrichtenblatts der Landesdenkmalpflege auf den Seiten 39ff.

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